Landwirt für einen Tag

Der Boden gibt leicht nach, als Martin Ehrismann und Stefan Roth einen Fuß vor den anderen setzen. Die beiden stehen auf einem Feld außerhalb von Königsbach und schauen auf die Erde unter ihnen. In kleinen Brocken liegt sie da, zwischen ihnen ist der Rest der letzten Ernte noch erkennbar. Ehrismann ist zufrieden: „Genauso soll das sein“, sagt der Landwirt, dem der zwischen Königsbach und Wössingen gelegene Eichhälderhof gehört. Er zeigt auf das Gerät, das hinten an einem großen Traktor hängt. Es heißt Flügelschargrubber. Es lockert den Boden auf und zerkleinert ihn gleichzeitig. Die Ernterückstände lässt er dabei an der Oberfläche liegen. So können sie die Mikroorganismen im Boden nutzen und umsetzen, was dessen Humusgehalt erhöht. „So, wie das Feld jetzt daliegt, kann man einsäen“, erklärt Ehrismann. In drei bis vier Wochen soll es so weit sein: mit Weizen. Roth hört ihm aufmerksam zu, stellt einige Nachfragen. Den ganzen Tag ist er zu Gast auf Ehrismanns Hof und lernt die Abläufe dort kennen. „Landwirt für einen Tag“, heißt das Projekt, bei dem Otto-Normalverbraucher aus erster Hand Einblicke in landwirtschaftliche Betriebe bekommen. „Ich interessiere mich schon immer sehr für Landwirtschaft“, sagt Roth und erzählt, er fahre viel Fahrrad und komme dabei auch an den Feldern vorbei. Roth wollte verstehen, wie und was dort gearbeitet wird. „Landwirte sind die, die uns ernähren“, sagt er: „Das darf man nicht vergessen.“ Aus seiner Sicht ist Regionalität die Zukunft. „Wir können es uns in Zukunft nicht mehr leisten, den Weizen aus aller Welt herzuschaffen, allein schon aus ökologischen Gründen.“ Ehrismann hat den Tag akribisch vorbereitet und sich ein Programm mit mehreren Stationen überlegt. Zusammen mit seinem Sohn Marius (20) führt er Roth durch die Hallen und über die Felder. Als sie mit dem Flügelschargrubber fertig sind, wechseln sie auf die andere Seite des Wegs. Auf dem Feld dort wachsen kleine, grüne Pflänzchen, die später gelb blühen werden. Es handelt sich aber nicht um Raps, sondern um Senf. Ernten wird Ehrismann ihn nicht, denn dazu ist er auch gar nicht bestimmt. Im Frühjahr wird er ihn stattdessen in den Boden einarbeiten und dann auf dem Feld Mais säen. Der Senf ist das, was Landwirte eine „Zwischenkultur“ nennen. Sie dient dazu, den Stickstoff zu binden, der nicht ins Grundwasser ausgewaschen werden soll. Zudem schützt sie das Feld vor Erosion. In der hügeligen Landschaft der Region ist das wichtig – erst recht, wenn es stark regnet. „Das ist keine Erfindung von mir, das machen viele Kollegen ähnlich.“ Mag sein. Aber welcher Verbraucher weiß das schon? Ehrismann ist es wichtig, aufzuklären. Auch, weil er mit Sorge beobachtet, wie sich Landwirte und Bevölkerung immer mehr voneinander entfernen. „Das ist kein Vorwurf, das ist eine Feststellung.“ Um dem entgegenzuwirken, organisiert er Tage der offenen Tür, Felderrundfahrten und engagiert sich als Agrarscout. Immer wieder tritt er dabei dem Vorwurf entgegen, in der sogenannten konventionellen Landwirtschaft drehe sich alles nur um den Profit, auf Kosten von Umwelt und Tierwohl. „Es geht um die Liebe zum Beruf, um die Leidenschaft, um die Begeisterung für das Produkt und die Natur“, sagt Ehrismann: „Das ist bei allen Kollegen so, die ich kenne.“ Nachhaltigkeit spiele allein schon deshalb eine große Rolle, weil jeder Landwirt die Felder von seinen Vorfahren übernehme und an seine Nachkommen weitergebe. „Man muss in Generationen denken.“ Wenn Ehrismann von seinem Beruf spricht, dann merkt man, dass er ihn aus Überzeugung ausübt. Dennoch macht er Roth keine Illusionen. Denn mit Nostalgie oder Romantik hat Landwirtschaft überhaupt nichts zu tun, auch im hochdigitalisierten 21. Jahrhundert nicht. Zwar hat sich die Technik im Lauf der Jahre verbessert und die Forschung viele wertvolle Erkenntnisse geliefert. Aber eines ist gleich geblieben: die Abhängigkeit vom Wetter. „Das kann einem wirklich schlaflose Nächte bereiten.“ Und es kann dazu führen, dass auch sonntags oder bis tief in die Nacht gearbeitet werden muss, gerade in der Erntezeit. Der Beruf des Landwirts ist komplex. Das stellt auch Stefan Roth schnell fest. „Vieles hatte ich schon mal irgendwo gehört“, sagt er: „Aber, wenn man es an einem konkreten Beispiel vermittelt bekommt, wird es nochmal deutlicher.“ Ehrismann hat sein Ziel erreicht. Und betont dennoch: „Landwirtschaft erklärt man nicht an einem Tag.“

 

Hintergrund:

Die Aktion „Landwirt für einen Tag“ wird vom Forum Moderne Landwirtschaft organisiert und findet bundesweit statt. Landwirtschaftliche Betriebe laden dabei Verbraucher für einen Tag auf ihren Hof ein, damit diese vor Ort einen Eindruck von den Abläufen bekommen. Auch der Eichhälderhof bei Königsbach hat sich daran beteiligt. Er liegt im Gewann „Eichhälde“ und existiert seit 1998. Es handelt sich um einen reinen Ackerbaubetrieb, der unter anderem Weizen, Gerste und Mais kultiviert. Daneben wird Saatgutvermehrung betrieben. Es gibt einen Hofladen, Hühner und mehrere Übernachtungsmöglichkeiten, etwa in einen Holzfass oder in einem Bett im Kornfeld. Ehrismann ist seit 2018 als Agrarscout beim Forum Moderne Landwirtschaft aktiv und sucht den Dialog mit den Verbrauchern.